Recovery

Recovery steht für die Hoffnung, dass Gesundung auch bei schweren chronischen psychischen Krankheiten möglich ist. Recovery bedeutet, wieder Verantwortung zu übernehmen für die eigene Gesundung und schliesslich Strategien zu erlernen, wie mit ‚Symptomen‘ umgegangen werden kann, damit neue Lebensqualität wiedergewonnen wird.

Unter Empowerment versteht man grundsätzlich eine Zunahme von Eigenverantwortung, Autonomie und Selbständigkeit. Bei Menschen, die von psychischen/seelischen Erschütterungen betroffen sind, geht es darum, eigene Fähigkeiten zu erwerben oder wieder zu erwerben, um die persönlichen Interessen so selbstständig wie möglich und mit so viel Unterstützung wie nötig vertreten zu können. Notwendig dazu sind: Die Selbstwirksamkeit zu steigern, Gestaltungsspielräume zu erweitern, sich auf die eigenen Ressourcen zu besinnen und die eigenen Einschränkungen und besonderen Empfindlichkeiten zu akzeptieren.

Aaron Antonovsky, auf der Startseite bereits erwähnt, untersuchte in den 60-er-Jahren zwei Gruppen von Frauen in der Menopause. Dabei war eine Gruppe von Frauen, die den Holocaust überlebt hatten, die andere Gruppe diente als Kontrollgruppe.
Er fand heraus, dass beinahe ein Drittel der Frauen, die den Holocaust erleben mussten, trotz allem (also inkl. der Beschwerden durch die Menopause), als "gesund" galten, zumindest keine Unterschiede zu den "Gesunden" in der Kontrollgruppe hatten.
Dieses "Phänomen" ergründete er. Er fragte, welche Faktoren potentiell dazu beitragen, dass die Seele gesund bleiben kann trotz potentiell krank machenden Einflüssen. Dies veröffentlichte er 1979 im Buch "Salutogenese" und legte damit den Grundstein für viele nach ihm, die sich für die Entstehung von Gesundheit interessierten, im Gegensatz zur Suche nach Krankheit und ihren Symptomen (Pathogenese oder "Schulmedizin").

Das Verständnis vom Begriff Recovery (vielleicht am besten mit Genesung, Gesundung übersetzt) variiert aufgrund unterschiedlicher Geschichten und Verläufe. Das darf auch so sein.


Peer

Menschen, die eigene Gesundungswege, eben Recovery-Wege, gegangen sind und nun ihr Erfahrungswissen nutzen, um anderen hilfreich zur Seite zu stehen, werden mit dem englischen Begriff Peer, für eine Gruppe von Gleichgestellten, bezeichnet.

Peers sind Mitarbeitende, die selbst Psychiatrie-Erfahrung haben. In Ergänzung zum Fachpersonal ohne eigene Erfahrung setzen sie ihr reflektiertes und persönliches Erleben zur Unterstützung von Betroffenen ein. Sie werden somit als «Experten aus Erfahrung» tätig. Die Aufgaben und Rollen der qualifizierten Peers sind vielfältig.

Peer-Arbeit ist keine Therapie. Vielmehr ist sie eine Lebenshilfe für Menschen in einer bestimmten Lebensphase, die von psychischer/seelischer Erschütterung und entsprechender Genesung geprägt ist. Peers erweitern das Behandlungsteam und fungieren als «Brückenbauer» zwischen Fachpersonal, Betroffenen und Angehörigen.

In den letzten 9 Jahren habe ich einen riesigen Werkzeugkoffer zusammengestellt mit dienlichen Mitteln wie Achtsamkeit, liebevoller Selbstannahme, Auflösen von hinderlichen Glaubenssätzen. Die wichtigen Bereiche scheinen mir folgende zu sein:

Beziehungen, Hoffnung und Optimismus, Identität, Bedeutung und Bestimmung sowie das oben beschriebene Empowerment.
("Chime"-Modell)

Persönlicher Wert der Peerarbeit im Arbeitsalltag

„Ich erinnere mich an den dunklen Ort der Hoffnungslosigkeit, in dem ich jahrelang steckte. Ich glaubte längst nicht mehr an irgendeine Form von Veränderung, dass es irgendwann ein Leben vor dem Tod geben könnte.

Peers, alleine schon durch deren Existenz und Anwesenheit, können Hoffnung vermitteln, sind personifizierte Möglichkeiten zur Besserung. Die Gespräche auf Augenhöhe lassen die asymmetrischen Beziehungen in der psychiatrischen Behandlung weniger ausgeprägt erscheinen und im besten Fall erhalten Nutzende Infos, wie jemand seinen eigenen Weg geht, welche Werkzeuge ihm dabei besonders wichtig geworden sind, alles in der Ich-Form und aus eigener Erfahrung.

Diese zu kopieren für den eigenen weiteren Verlauf erscheint als Möglichkeit und gute Idee.

Dies stellt einen Mehrwert dar, auch für die interdisziplinäre Zusammenarbeit, also das ganze Team und die Institution selber.

Dabei erscheint mir auch wichtig, dass Peers vermitteln, übersetzen und ergänzen, folglich keine „Entweder-oder“-Lösung sind, sondern stets ein „Sowohl-als-auch“ darstellen.

Im konkreten Alltag sind die Gespräche von Peers mit Nutzenden oftmals ein kleiner Lichtblick, ein Mini-Aufsteller, der matchentscheidend den ganzen Tag ausmachen kann.“